HartzIV, SPD, CDU, Grüne, Kohl, Schröder, von der Leyen: Ein Kommentar, der abrechnet statt Menschen zu diskriminieren.

5 Euro mehr soll es für HartzIV-Empfänger geben. Nicht nur das ist einen handfesten Streit wert – die Kommentare danach sind noch sehr viel würziger. Es ist kein Geheimnis, ich bin Pro-HartzIV-Erhöhung. Auf ein Niveau, das menschenwürdiges Leben und Teilnahme am sozialen Leben ermöglicht, nicht nur für Kinder, auch für Erwachsene. 364 Euro im Monat reichen nicht annähernd für die oben genannten Bereiche aus. Alleine die Posten Strom, Internet, Telefon fressen einen großen Teil des Regelsatzes weg, was übrig bleibt, reicht gerade noch um im Sozial-Supermarkt abgelaufene Ausschussware zu kaufen und davon einen Monat zu leben.


Verhetzung, Herabwürdigung, Stimmungsmache

Die Argumente, welche die Runde machen, sind herab würdigend, diskussionsfähig, teils hetzerisch und im Falle der Welt sogar in meinen Augen Verfassungsfeindlich – gegen den Sozialstaat. „Regierung setzt dem ruinösen Sozialstaat ein Limit“ titelt die Welt am gestrigen Abend – Andrea Seibel eröffnet damit einen Artikel der in mir durchaus Brechreiz, Wut und Unverständnis auslöste. Der Staat, er kümmere sich um die „Unterschicht“ ohne Gegenleistung zu verlangen, der Sozialstaat sei schuld am Untergang Deutschlands, nicht etwa eine Finanzkrise. „Sozial ist und bleibt, was Arbeit schafft. 56 Prozent der Deutschen sind einer Umfrage zufolge gegen die Aufstockung der Hartz-IV-Gelder. Das ist ein ermutigendes Zeichen.“ wird weiter gehetzt. Werte Frau Seibel, Ihre Meinung ist nicht nur unsozial, sie ist beschämend, sie ist ein Beweis für die Blindheit mancher Menschen. Und den Erfolg der Schwarz-Gelben Propaganda. Die konnte man gestern auch in Form von Frau von der Leyen bei Anne Will bewundern. Ich empfehle Ihnen außerdem, nicht über Themen zu schreiben, von denen Sie augenscheinlich nichts verstehen können. Verheiratet, guter Job, gutes Gehalt, keine Kinder – bitte schreiben Sie doch nicht über die Ärmsten des Landes, wenn Sie selbst nicht einmal Kinder haben.


Umfrage der Bild am Sonntag – Auslegungssache, unterschlagene Wörter

Ja, die Bild, immer für eine Schlagzeile gut. Die Bams ließ durch Emnid eine Umfrage durchführen, bei der heraus kam, dass 56% der Deutschen gegen eine Erhöhung des Regelsatzes seien. Unterschlagen wird in der viel zitierten Schlagzeile jedoch, dass diese Antwortmöglichkeit durchaus noch weiter ging: An die Antwortmöglichkeit gebunden war „Ich bin gegen eine Erhöhung, wenn Gutscheine dazu kommen“.  Zum einen reißt man nun munter verschiedene Themenbereiche in der Umfrage aus dem Kontext (Gutscheine waren ja hauptsächlich für Kinder im Gespräch), zum anderen zitiert man – selbstverständlich – nur noch den Teil, der für Schlagzeilen sorgen kann. Ekelhaft. Die Frage hat wohl gelautet: „Sind sie gegen eine Erhöhung wenn stattdessen Gutschein-Leistungen erfolgen?“. Offensichtlich sind 56% der Menschen (im Hinterkopf die Kinder-Bildung-Gutschein-Diskussion) dafür. Daraus wird dann: „Zum Glück sind 56% der Deutschen gegen eine Erhöhung des Regelsatzes“.


„Kein Bier auf Staatskosten“

Man kann darüber streiten ob Alkohol und Zigaretten pauschal in den Regelsatz gehören – in meinen Augen nicht – unstreitig ist aber dass von 364 Euro kein Mensch würdig leben kann. So werden für Strom etwa 30 Euro veranschlagt. Eine Stromrechnung von 30 Euro im Monat habe ich nicht mal in meiner ersten Wohnung, einem 23qm Apartment, unterschritten. 1999 (also ca. 59 DM). Zurzeit haben wir zu Zweit – mit Durchlauferhitzer im Bad, Geschirrspüler, Kühl- und Gefrierschrank sowie 2 PCs einen Verbrauch von ca. 6500-7500 kwH/Jahr. Als Single kam ich immer auf ca. 2000-3000 kwH – jedenfalls mit Warmwasser durch Strom. Bei Verivox kann man gut rechnen was das kostet. Allein der Punkt ist schon an den Haaren herbei gezogen, ganz offensichtlich -die günstigen Stromanbieter nehmen Kunden ohne Arbeit – oder Kunden die evtl. schon was Negatives in der Schufa haben gar nicht erst an. Man ist auf die teuren klassischen Grundversorgungstarife angewiesen. Für den Strom sollte man als Single also durchaus 50 Euro zurücklegen.
Internet, Telefon, Handy: Unter 40 Euro im Monat kriegt man das auch nicht unter. Was bleibt sind 274 Euro. Ein paar Mal im Monat muss man ja auch Bahn fahren – das Auto setze ich mal nicht voraus – ziehen wir dafür also auch noch mal 8 Fahrten Preisstufe A in Düsseldorf ab, sind 16 Euro. Bleiben 8,46 Euro am Tag. Davon soll ich noch sparen, falls meine Waschmaschine, mein Kleiderschrank, Staubsauger oder Ähnliches kaputt geht. Lege ich also am Tag 50 Cent in die Spardose. Noch mal 15,25 Euro weg. Bleiben 7,96 Euro. Davon Essen und Trinken. All den Schreihälsen die denken, es gäbe sogar noch zu viel HartzIV wünsche ich viel Spaß zu versuchen, mit diesem Geld auszukommen. Vergessen habe ich selbstverständlich noch 3,33 im Monat für die Praxisgebühr – manchmal auch mehr, denn wenn man am Wochenende als Notfall in die Praxis muss, zahlt man 2 x 10 Euro.


„Die Arbeit liegt auf der Straße“

Schlimm sind aber dann diejenigen, die noch immer die Mär von der „Arbeit auf der Straße“ vor sich hin murmeln. Nein, die Arbeit liegt nicht mehr auf der Straße. Schaut mal in die Jobbörse der Agentur für Arbeit.. Jede Menge Job, aber nur maximal jeder 20. von einer echten Firma – der Rest sind Personalvermittlungen, Zeitarbeitsfirmen. Die wiederum inserieren dauerhaft Jobs, die oft gar nicht zu vergeben sind. Kuriosestes Beispiel ist der „Gamemaster Kundenbetreuung“, der glaube ich schon Jahre zu finden ist. Wow, so viele Gamemaster, es gibt wohl ausschließlich Zocker und Spielabhängige auf der Welt. Nein, einen Job finden, unter Druck, die Motivation dabei nicht zu verlieren und das mit weniger Geld als es zum Leben braucht – das ist selbst für arbeitswillige Arbeitslose nicht einfach.


„WIR waren es nicht!“

Aber das Totschlagargument schlechthin ist ja, dass die SPD und die Grünen schuld sind. Die habens doch eingeführt, Gas-Gerhard vornweg. 1998 war das, HartzI – IV wrde dann bis 2005 stufenweise eingeführt. Bis heute waren auch die CDU, CSU und nun zuletzt die FDP an der Regierung- aber keiner hat das angepackt. Niemand greift in die Zeitarbeit gesetzgeberisch ein, niemand hat bis zum Schuss vor den Bug durch das Verfassungsgericht die Regelsatzberechnung angepackt. Warum auch – SPD und Grüne waren es doch. Warum dies nun dazu führt, dass beide Parteien sich nicht drehen, bessern oder einen großen, historischen Fehler einsehen können, ergibt sich mir nicht. Wer war es gleich noch, der die Wiedervereinigung aus den Rentenkassen finanziert hat? Doch nicht Helmut Kohl, oder? Man, die CDU sollte sich aus Finanztransaktionen und Regierungsgeschäften raus halten, die haben es doch in erster Linie verbockt. Kohl hat in seiner Regierungszeit mit der CDU/FDP den Grundstein für das Leeren der Sozialkassen, den Zusammenbruch der Rente und des Krankenkassensystems gelegt. Da kann die CDU sich nicht raus reden. In einem Atemzug aber SPD und Grünen HartzIV unermüdlich vorzuwerfen- ja was ist das? Heuchlerisch, mindestens.


Mindestlohn – Nein Danke!

Mindestlohn, nein, den können wir nicht einführen, wir hätten dann ja nur noch Arbeitslose. Es würden viele Stellen abgebaut werden, mehr Menschen arbeitslos sein. Wir können uns nicht mit Frankreich oder Großbritannien vergleichen, wo der Mindestlohn nicht zu dieser Entwicklung geführt hat. Warum nicht, bleiben die CDU- und FDP-Menschen als Argument schuldig. Ich sehe das so:
Hotelzimmer müssen auch bei höherem Lohn geputzt werden. Burger verkaufen sich nicht von alleine, Haare wollen geschnitten werden und Kundebetreuung gehört auch mit einem Mindestlohn zum Telefonanschluss dazu. KEIN Arbeitgeber stellt heutzutage noch Leute ein, die er eigentlich nicht braucht. Jeder Arbeitnehmer hat einen Job, weil die Arbeit getan werden muss. Die Shareholder-Value muss maximiert werden, also: So wenig Menschen wie möglich in Arbeit um das Produkt an den Markt zu bringen und dort zu halten, und diese wenigen Menschen so billig wie geht. Da klinken sich noch Zeitarbeitsfirmen dazwischen, die prinzipiell für kaum Leistung für den Arbeitnehmer mit diesem weitere Euros verdienen – die dem Arbeitnehmer schlussendlich im Gehalt fehlen. Büro auf der Königsallee und gutaussehende Sekretärin wollen schließlich auch bezahlt werden, vom Porsche in der schicken Einfamilienhaus-Garage mal abgesehen. Neid? Nein. Darauf bin ich nicht neidisch. Bevor ich auf dem Rücken von Menschen, die ohnehin schon arm dran sind, Profite mache, beantrage ich lieber selbst HartzIV.

Ein Mindestlohn von 7,50 Euro bundesweit würde so einige Aufstocker (1,6 Millionen) aus dem Bezug holen. Ich glaube, nicht einer der Arbeitnehmer würde seinen Job verlieren, weil er auf einmal menschenwürdig bezahlt werden muss. Unklar ist, wie viele der 1,6 Millionen Aufstocker lediglich HartzIV-Empfänger mit 400-Euro Job sind- aber auch hier sollte man den Betrieben und Mittelständlern viel heftiger auf die Finger schauen.


Kontrolle auf für Betriebe

Ich kenne nicht wenige Einzelhändler, mittelständische Betriebe oder Gastronomen, die zwar 400-Euro-Jobber beschäftigen – diesen aber zum Beispiel auf dem Papier nur 200 Euro (bis zur Zuverdienstgrenze) auszahlen, den Rest dann fein unter der Hand. Im Sicherheitsdienst bekam ich so ein Angebot sogar vor Jahren mal unverblümt gemacht:

Wenn Sie bei uns arbeiten wollen, müssen Sie HartzIV beantragen, dann können Sie ja vom Amt den Rest bekommen und wir kriegen noch Geld damit wir sie einstellen.

Ja, so geht das heute. Die HartzIV-Empfänger sind nicht immer die bösen, faulen und viel zu luxuriös lebenden Menschen, wie es die Welt, die Bild und viele andere Schmierblätter uns vorgaukeln wollen: Nicht wenige Betriebe, also Mittelständler, ergo: FDP-Klientel, gehören zum Personenkreis der Sozialschmarotzer. Denn wer verdient denn letztlich Geld damit, HartzIV-Empfänger zu kleinen Löhnen oder Teilschwarz zu beschäftigen? Die Betriebe, die das tun. Und die wählen gerne FDP. Oder auch CDU. Nur nicht diese Beulenpest SPD – dabei ist die SPD doch hauptverantwortlich für die Zustände. Sagt man.

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Wem das Alles noch nicht reicht, der muss nur mal bei Twitter mitlesen – und sich zuweilen nur noch wundern, nicht mehr ärgern, wie dumm manch Twitterer doch auf die Schwarz-Gelbe Propaganda reinfällt.



2 Antworten zu „HartzIV, SPD, CDU, Grüne, Kohl, Schröder, von der Leyen: Ein Kommentar, der abrechnet statt Menschen zu diskriminieren.“

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